Medizinrecht – Arzthaftungsrecht – Behandlungsfehler: Verzögerte Behandlung einer Sinusvenenthrombose, OLG Saarland, Az. 1 U 122/22
Sachverhalt:
Die damals 17-jährige Klägerin suchte 2016 mit starken Kopfschmerzen und neurologischen Ausfällen die Notaufnahme der Beklagten auf. Trotz auffälliger Symptome und bekanntem Risiko durch hormonelle Verhütung unterblieb die gebotene Diagnostik. Stattdessen wurde sie mit der Diagnose „Migräne“ entlassen. Erst in einer anderen Klinik wurde eine lebensbedrohliche Sinusvenenthrombose festgestellt.
In der Folge kam es zu schweren Komplikationen: dauerhafte Sehverschlechterung, neurologische Ausfälle, psychische Belastungen und zahlreiche operative Eingriffe. Die Klägerin leidet bis heute unter den massiven körperlichen und seelischen Folgen.
Chronologie:
Die Klägerin erhob zunächst Klage vor dem Landgericht Saarbrücken, blieb dort jedoch erfolglos. Der vom Gericht bestellte Sachverständige vermochte kein haftungsrelevantes Fehlverhalten zu erkennen. In der Berufungsinstanz vor dem Saarländischen Oberlandesgericht wurde der Sachverhalt hingegen neu bewertet: Das Gericht sah in der unterlassenen weiterführenden Diagnostik und der daraus resultierenden verzögerten Therapieeinleitung der Sinusvenenthrombose einen Diagnosefehler, der der Beklagten vorzuwerfen sei.
Das Berufungsgericht gab der Klage daraufhin statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Klägerin.
Anmerkungen von Ciper & Coll.:
Vorliegend war die Abgrenzung von einem Diagnosefehler zu einem bloßen Diagnoseirrtum entscheidend.
Ein Diagnoseirrtum liegt vor, wenn der Arzt trotz sorgfältiger Befunderhebung und Anwendung der medizinischen Standards zu einer unzutreffenden Diagnose gelangt. Dieser ist in der Regel nicht haftungsbegründend.
Ein Diagnosefehler hingegen setzt eine Abweichung vom fachärztlichen Standard voraus – etwa durch unzureichende Befunderhebung oder fehlerhafte Bewertung erhobener Befunde. In diesem Fall liegt ein Behandlungsfehler vor, der zu Schadensersatzansprüchen führen kann. Die Abgrenzung ist haftungsrechtlich zentral und wird regelmäßig gerichtlich geprüft, so Dr. DC Ciper, LLM.
vom 10.11.25
vom 03.11.25
vom 03.11.25