Medizinrecht – Arzthaftungsrecht – Behandlungsfehler: Grob fehlerhafte Entfernung der inneren Schamlippen, LG Nürnberg-Fürth, Az. 4 O 572/22
Chronologie:
Bei der Klägerin wurde eine von Geburt an deutliche Vergrößerung der inneren Schamlippen sowie des Klitorismantels diagnostiziert. Aufgrund dessen wurde eine medizinisch indizierte Schamlippenreduktionsplastik der Labia minora sowie die Straffung des Klitorismantels vorgenommen.
Nach der streitgegenständlichen Operation litt die Klägerin unter starken Schmerzen und konnte sich nicht bewegen. Sie musste Bettruhe halten. Über einen Zeitraum von rund 6 Wochen konnte sie überhaupt nicht sitzen, ab der 7. postoperativen Woche war ihr sitzen für zwei Monate nur mit einem Sitzring möglich. Anschließend konnte sie sich nur mit starken Schmerzen aufsetzen. Liegen in einer Seitenposition ist ihr nicht mehr mit angewinkelten Beinen möglich, da der Zugschmerz aufgrund des zu viel entfernten Gewebes und der komplett entfernten inneren Schamlippen nicht mehr möglich ist. Ebenso wenig kann sie in die Hocke gehen, um beispielsweise Dinge selbstständig aufzuheben. Es besteht eine dauerhafte Entzündungsanfälligkeit der Scheide und der Unterleibsorgane. Geschlechtsverkehr ist nicht mehr möglich. Außerdem leidet die Klägerin seither an psychischen Problemen, insbesondere unter dem Gefühl, Opfer einer Verstümmelung geworden zu sein.
Verfahren:
Nachdem die Klage erhoben wurde, wurde das schriftliche Vorverfahren eingeleitet. Die Beklagte wies alle Vorwürfe zurück. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zeigte jedoch, dass der Beklagten ein grober Behandlungsfehler in der Planung und Durchführung der Operation vorzuwerfen ist und die Beschwerden der Klägerin kausal auf die Fehlbehandlung zurückzuführen sind. Daraufhin schlug das Gericht einen Vergleich in Höhe von 32.000,00 € vor. Nun unterliegt es den Parteien, dem Vergleichsvorschlag näherzutreten.
Anmerkung von Ciper & Coll.:
Im vorliegenden Fall sah der Gutachter insbesondere einen Fehler in der Vorbereitung der Operation. Die Klägerin war nicht sachgerecht gelagert worden, wodurch die Resektionslinien nicht richtig eingezeichnet werden konnten. Aus den Behandlungsunterlagen geht nicht hervor, warum die Beine der Klägerin bei der Operation nicht ausgelagert wurden. War dies nicht möglich, weil die Voraussetzungen am OP-Tisch nicht gegeben waren, hätte die Operation bei der Beklagten gar nicht erst angeboten werden dürfen.