Medizinrecht - Arzthaftungsrecht - Behandlungsfehler: Tod nach ambulanter Knieendoskopie, 40.000,- Euro, LG Passau, Az.: 1 O 564/15
Chronologie:
Am 28.04.2013 unterzog sich der Erblasser einer ambulanten Knieendoskopie. Am
16.05.2013 wurde eine Operationskontrolle durchgeführt und das Medikament Arcoxia verordnet.
Nach Einnahme von zwei dieser Tabletten traten beim Erblasser am Abend des 16.05.2013
Atemnot, Schmerzen in der linken Brusthälfte und im linken Arm auf, weshalb der Erblasser
am 17.05.2013 im Krankenhaus der Beklagten eingeliefert wurde. Zu diesem Zeitpunkt war
den behandelnden Ärzten der Beklagten bekannt, dass sich der Erblasser bereits am
08.04.2013 einer Knieoperation unterzogen hatte. Dem Erblasser und seiner Ehefrau
wurde mehrfach zugesichert, dass die aufgetretenen Brustschmerzen nicht mit der Knieoperation
von April 2013 zusammenhängen könnten.
Die im Hause der Beklagten eingeleitete ärztliche Untersuchung konnte wegen zunehmender
Schmerzen des Erblassers nicht abgeschlossen werden, weshalb der Verdacht auf Wasser hinter
dem Herzen diagnostiziert wurde.
Weitere Untersuchungen sollten erst nach den Pfingstfeiertagen durchgeführt werden. Während
des folgenden stationären Aufenthalts wurde der Erblasser lediglich mit Voltaren-
Schmerztabletten und Antibiotika behandelt. Am 21.05.2013 wurde er, ohne weitergehende
diagnostische und/oder therapeutische Maßnahmen veranlasst zu haben, aus dem Krankenhaus
entlassen.
Am 03.06.2013 brach der Erblasser gegen 04:50 Uhr im Bad zusammen. Der daraufhin
gerufene Notarzt stellte die Verdachtsdiagnose einer Embolie, woraufhin der Erblasser mit
dem Rettungswagen in das Krankenhaus Passau gebracht wurde. Noch im Rettungswagen
erlitt der Erblasser aufgrund von Sauerstoffmangel einen Herzstillstand. Er wurde eine Stunde
reanimiert, bevor die Fahrt ins Krankenhaus Passau fortgesetzt werden konnte. Im Klinikum
Passau wurde aufgrund des erlittenen Sauerstoffmangels der Gehirntod festgestellt.
Verfahren vor dem Landgericht:
Das Landgericht Passau hat Gutachten in Auftrag geben und Beweis erhoben.
Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass ein Befunderhebungsfehler unterlaufen ist, Die
Differentialdiagnose einer Lungenembolie wurde seitens der Beklagten zunächst verfolgt.
Daher hätten weitere Untersuchungen durchgeführt und weitere Befunde erhoben werden
müssen, um diese Diagnose auszuschließen. Dies wäre entweder durch Wiederholung bzw.
Durchführung eines D-Dimere-Tests oder durch ein CT oder Ultraschall der Beinvene möglich
gewesen. Richtig ausschließen können, hätte man die Diagnose nur mittels CT.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der D-Dimere-Test positiv ausgefallen wäre, ist sehr hoch. Bei
positiven D-Dimere-Test hätte man ein CT machen müssen. Anhand dieses CTs wäre möglicherweise
eine Lungenembolie zu sehen gewesen.
Bei den echokardiographischen Aufnahmen handelt es sich lediglich um Standbilder und
nicht um die aktuell üblichen Sequenzaufnahmen (Videoaufnahmen). Ein eindeutiges systolisches
Regurgitationssignal ist nicht erkennbar, sodass keine Aussage zu einer zu diesem Zeitpunkt
eventuell vorhandenen Lungenembolie möglich ist. Hierbei handelt es sich um einen
Befunderhebungsfehler. Die Beklagten hätten aufgrund der eindeutigen Symptome eine weitere
Abklärung vornehmen müssen, um eine mögliche Lungenembolie auszuschließen. Die
echokardiographischen Aufnahmen sind nicht auf den rechten Ventrikel oder auf die Abschätzung
des Druckes im kleinen Kreislauf fokussiert worden. Dies hätte jedoch gemacht
werden müssen, um eine Lungenembolie ausschließen zu können.
Verfahren:
Im Termin der mündlichen Verhandlung hat sich bestätigt, dass während der Echokardiographie
Fehler in der Befunderhebung gemacht wurden, weil keine aussagekräftigen Sequenzen
des rechten Ventrikels oder auf die Abschätzung des Drucks im kleinen Kreislauf befundet
wurden. Zudem stellt die unterlassene D-Dimere-Bestimmung einen Befunderhebungsfehler
dar.
Bei richtiger Befunderhebung hätte sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiger
Befund ergeben, aufgrund dessen weitere Maßnahmen (CT) erforderlich gewesen
wären. Die Nichtreaktion auf den sich sodann ergebenden hypothetischen Befund (positiver
D-Dimere-Test) wäre grob fehlerhaft gewesen.
Aus den Ausführungen des Sachverständigen, dass auf den CT-Aufnahmen möglicherweise
eine Lungenembolie zu diesem Zeitpunkt vorgelegen habe, ergibt sich zwanglos, dass jedenfalls
nicht auszuschließen ist, dass die Erkrankung und Therapiemöglichkeiten, wäre es nicht
zu dem Befunderhebungsfehler gekommen, sich günstiger dargestellt hätten.
Damit gelingt es der Beklagten nicht, den – aufgrund der Beweislastumkehr nun von ihnen zu
erbringenden – Beweis für eine fehlende Kausalität zu führen.
Das Landgericht hat den Parteien daraufhin einen Vergleich vorgeschlagen. Danach hat die
Beklagte zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche einen Betrag in Höhe von EUR 40.000,00 an
die Kläger zu zahlen.
Die Parteien sind dem Vergleichsvorschlag nähergetreten.
Anmerkungen von Ciper & Coll.:
Es liegt also ein Befunderhebungsfehler vor. Ein solcher Fehler in der Befunderhebung kann
zur Folge haben, dass der behandelnde Arzt oder Klinikträger für eine daraus folgende objektiv
falsche Diagnose und für eine der tatsächlich vorliegenden Krankheit nicht gerecht werdende
Behandlung und Folgen einzustehen hat (BGH v. 08.07.2003- Az. VI ZR 304/02 – Rz.
12 BGH v. 26.01.2016 – Az. VI ZR 146/14 – Rz.6; vgl. auch OLG München v. 08.08.2013 –
Az. 1 U 4549/12 – Rz.59).
Grundsätzlich tragen die Kläger die Beweislast nicht nur für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers,
sondern auch dafür, dass dieser Fehler zu einem Gesundheitsschaden (sog. Primärschaden)
geführt hat, der seinerseits wiederum für die weitere Folgen (Sekundärschaden)
mitursächlich geworden ist. Allerdings können bei Ansprüchen von Patienten gegen Ärzte
unter Umständen gem. § 630h Abs. 5 BGB Beweiserleichterungen zugunsten der Patienten in
Betracht kommen, namentlich im Falle einer unterlassenen Befunderhebung. In diesem Fall
kommt es dann zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität für den eingetretenen
Gesundheitsschaden, wenn sich bei der gebotenen – aber fehlerhaft unterlassenen – Abklärung
der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender
Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion
hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und dieser Fehler generell geeignet ist, den tatsächlich
eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen (vgl. BGH v. 02.07.2013 – Az. VI
ZR 554/17 – Rz. 11, BGH v. 17.11.2015 – Az. VI ZR 476/14 – Rz. 17; BGH v. 26.01.2016 –
Az. VI ZR 146/14 – Rz. 4). Mit dem Ergebnis des Verfahrens zeigt sich die sachbearbeitende Rechtsanwältin
Irene Rist, LLM zufrieden.